Wie schön ist es, von einem Jugendfreund zu hören, dass er eine neue Band hat, wenn man ein Zine macht? Mega! Nämlich gleich aus mehreren Gründen, die darin mündeten, das wir uns auch nach Jahren mal wieder persönlich trafen. Sinnigerweise in einer Kneipe namens Bierbrunnen in Baden-Baden.
Und das gleich noch mit zwei andern lieben, alten Freunden.
Ein Abend voller dummer Sprüche, ernster Themen, Familie und eben Musik.
Le Havre sind eine fünfköpgige Band aus Potsdam. Hensch macht Tasten & Geplauder, Andreas sitzt auf dem Drumhocker, Sasch am Vier-Saiter, Nico zupft die Sechs, David drückt am Synth rum und ab und an Gitarre.
Bei Hensch unterschreibe ich die Beschreibung “Geplauder” nach den ersten drei Sätzen des ersten Songs “flurtür”. Die Band nimmt sich die Zeit, erstmal alle Instrumente vorzustellen.
Eine recht ruhig bebende Stimme erzählt etwas vom Verlorengehen einer Liebe. Getragen, poetisch, ein wenig pathetisch, wenn dann noch die zweite Stimme im Hintergrund den Gesang doppelt. Nach der lange Strophe wird es ein wenig lauter, aber dezent. Ein kurzer Einwurf “es sieht nach regen aus”.
Der zweite Titel “über den pass”, nicht minder voller gefühlvollem Pathos, ist schon etwas drängender, nicht minder erzählend, es dauert etwas, bis mich das cacht.
Ich entsinne mich da an eine Review von Dr. Dexter, die etwas punkiger sind, die aber Assoziationen an Fliehende Stürme weckten. Vielleicht ist das auch hier so. Letztere sind nicht ganz meine Hörgewohnheit. Und die brechen Le Havre auch auf. Es klingt wirklich alles so wohl.
“jetzt” – manches am Songwriting weckt Bilder, wenn die instrumentalen Parts ihre Momente haben. Post-Punk ist das irgendwie nicht, mehr Post-Rock. Sehr individueller Gesang.
“sergej” – darf ich erhlich gestehen, verstehe ich nicht. Aber irgendwie zieht es mich hinein. Eine Mischung aus dieser verschorbenen Art, die die Bands von Jens Rachut auch haben. Hier vielleicht am nähesten Alte Sau.
Der letzte Song von Seite A “auftauchen” holt mich persönlich noch am meisten ab. Dieses bretternde Schlagzeug, die Orgel, cool.
Ich dreh im. Die Platte. Die tiefen Gräben in Familien sind das Thema. Bevor der Song einen sehr besonderen Takt bekommt, wird mit dem Sonntags-Brotmesser etwas Pathosbutter aufs Brot geschmiert. Irgendwie total fies und auch megagut.
diese familie romantisch versoffen
zu früh gegangene hinterlassen ungeklärte fragen
und alle versuchen verluste auszufüllen
überspannen den bogen und treffen nie das ziel
sich tröstend zu verzeihen und die andern zulassen
In “klick klock” nehmen sie sich wohl selbst etwas auf die Schippe. Hensch legt eine ordentliche Spur Ironie in seine Stimme, die Musik melancholisch fröhlich nach vorne gespielt.
Mit “trotzdem” gibt es eine kleine, eigenwillige Auseinandersetzung mit Punk vs. Traditionen; die ich sehr gut nachvollziehen kann.
Zwischen zweieinhalb Minuten Spielzeit und fünfeinhalb ist alles dabei. Die Band spannt einen großen Bogen im Songwriting. Das ist nicht so, wie man es erwartet und das ist richtig gut so! Nicht alles muss nach dem selben Schema funktionieren! Und trotzdem brechen sie jetzt nicht total aus und schlagen permanent aus. Das Klavier nervt mich an keiner Stelle, es ist nicht ganz mein Instrument, doch im Gesamtsound der Band hat es seinen Raum bzw. macht es den Sound von Le Havre (druck)voll.
Mit “doch am ende” verabschieden sie sich, schließen einen Kreis. Post-Rock. Sehr schönes Laut/Leise-Spiel, ein gewisses zerlegen ihres Riffs findet ein Ende in einer der wenigen Rückkopplungen.
Und das ist vielleicht das Wort, welches am ehesten die Lyrics von Hensch beschreibt: sie sind eine Rückkopplung.
Cover ist eine Kaltnadelradierung von Holger. Gemischt und gemastert von Nikolaus Chaos Audio Production. Handnummeriert. 300 Stück.