das aus der jugend – für immer niemals sein wie ihr

Plötzlich sprang mich so ein witziger Bandname an. Demotape von Das Aus der Jugend. Klar, ich habe erstmal Haus gelesen und mich dann auch über meine eigene Blödheit amüsiert.
Wer öfter mal von mir hier liest weiß, ich steh auch Wortspiele, Wortverdrehungen und Wortakrobatik.
Letzteres ist ja ein seltenes Gut im Punk und wurde lange als Studentenpunk abgetan.
Ehrlich gesagt habe ich das Demotape schnell weggelegt, weil es mir viel zu Indie war – und dann kam die Anfrage mit der ersten Platte und ich bin ja auch begeisterter Hörer von Weiterentwicklungen. Also her damit, rauf auf den Plattenteller.

Und was von Flight13 Records kommt kann nicht Fail gehen, meistens, die LP heißt „für immer niemals sein wie ihr“. Wisst ihr jetzt was ich meine? Das ist schon mehr Wortakrobatik. Könnte ja auch nur „niemals so sein wie ihr“ heißen. Wäre aber ein veränderter Sinn und das „immer“ im Satz ohne das „so“ hat sowieso 1000 Mal mehr Wucht.
Und dann guck dir die drei Typen auf dem Cover an! Ich glaub ihnen das. Dieses Setting, in dem sie sitzen, eiskalt ad absurdum geführt; dennoch nicht unmöglich, dass sie das cool finden.
Deshalb werden sie niemals, niemals sein wie ihr. Und ihr nicht wie ihr, oder?

Der angeschnittene Zwetschgenstreusel (übrigens ist gerade in unserer Gegend, so zwischen Bühl und Freiburg sowas von Zwetschgenzeit!) zieht sich dann ganz wunderbar als Reminiszenz an die Beatles auf die Labels weiter: Seite A vollständig, Seite B das abgefutterte Blech.

Während ich das instrumentale Klavier-Intro der Platte anhörte, las ich auf dem Textblatt die Lyrics und empfand sie direkt als gut. Ja, wirklich: gute Lyrics. Witzig. Hintersinnig.
„Künstler aus Süddeutschland“ – „die SPD schiebt ab“ und „Mollies aus Champagnerflaschen“ sind direkt Hingucker und bergen schöne Scherze.
Ja, schön, den Punk kann auch schön.
Schön laut, schön rotzig, schön Fun, Arme in die Luft.

Ich denke kurz, so für ca. 3 einhalb Minuten habe ich Gelegenheit dazu und dann kommt der dritte Titel „ich will dein Hundi sein“ – och neee. Echt jetzt?
Da hab ich mich schon so gar nicht abgeholt gefühlt. Ich hatte sofort „Waldheims Pudel“ von K.G.B. in den Ohren und The Neglected „my dog he licks me to keep my body clean“ – das sind so Songs um einen Song gemacht zu haben. Bleiben kleben wie der feuchte Tropfen einer Nektarine auf dem Küchenboden. Sehr alter Kram, der, in der Hoffnung darauf, das sich nicht „Schimmelkulturen aller Fächer vereinigt euch“ dahinter klebt, nicht mehr in diese Zeit passt.
Aber Das Aus der Jugend möchte uns da sicher ihre Sichtweise näherbringen. Dochdoch, als Künstler aus Süddeutschland hat man in der Geburtenlotterie gewonnen und verspielt nun den Gewinn.
Sie wirken jung, haben aber wohl all die Klassiker der deutschen Musikgeschichte wie Schwämme aufgesogen und nun wird mit Reibeisenstimme rausgeprügelt, was nicht mehr länger in der vollgestellten Studentenküche vor sich hinschlummert.
Ein paar Songs sind irgendwie zu lang, dennoch alles klar, verständlich und äußerst amüsant.

Seite B, das leere Blech, schau dir jetz amol a, was aus derre Jugend worre isch (<— das ist Badisch, oder sowas in der Art) folgt ein Ein-Minutenkracher auf den nächsten. Kaum Luft geholt, geht der nächste Track los. Alle drei Jugendlichen singen, so ist es ordentlich abwechslungsreich und „fick mindestlohn“ ein geiler Hardcore-Refrain. „glockengeläut“ nimmt ein wenig das Tempo raus, um dann mit „wir bauen uns ein haus“ einen Rock’n’Roll-Smasher rauszuhauen und zurecht die Keule gegen Nazi-Opas zu schwingen.
Ey, wenn die wirklich so unverblümt und direkt auch auf den Straßen rumlaufen würden, dieses Aus der Jugend, dann wäre hier einiges echt geradegerückt. Ich höre da eine permanente Wut in den all der Fröhlichkeit!

Die Kritik an der Generation, die Boomer, kriegt ordentlich auch ne verbale Keule:

ich esse Steak, ich trinke Wein,
ich bin ein altes, reiches, weißes Boomer-Schwein
ihr seid so faul, großes Maul
von nichts n Plan eure Armut kotzt mich an
„eure Armut kotzt mich an“

Als wäre das unbedingt berechtigte Kritik an den herrschenden Verhältnissen.
Aber in meiner Jugend habe ich das auch so schon gehört, nur das das Wort Boomer darin nicht vorkam. Es hat sich also nichts verändert. Das ist echt arm.

„Das Aus der Jugend“ ist das sehr gute, wilde Ende dieser Platte und beinhaltet nochmal das anarchistische Komplettpaket theatröses Chaos über Chaos, Piano, dummes Geschwätz über Fußball.

Das Artwork, und all seine wilden Ideen, komplettieren ein Gemälde mit Rahmen, auf Betriebstemperatur und unter einer Minute.
Kaufempfehlung.

Flight 13.

 

dieser ausfürhliche Review ist bereits beim Vinyl-Keks erschienen.
Mit freundlichen Grüßen!

 

LP: KAPTAIN KAIZEN – für 3 minuten 11

Kaptain Kaizen legen los, wie ich sie kenne: nach vorne, nach vorne, nach vorne.
Druckvoller, deutschsprachiger Punk. „hängepeters“ ist die Startnummer 1.
Entschuldigt, wenn ich mich nur an einem Vergleich aufhänge, doch Kaptain Kaizen sind der wütende, nimmermüde Bruder von Turbostaat.
Das, was bei Turbostaat, sagen wir mal, liebenswerter geworden ist, haben sich Kaptain Kaizen erhalten und spielen wilder und ungezähmter. Eventuell der jüngere, weil sie sich die Wut erhalten haben.
Sie mögen auch die kryptische Titelgebung, bei der nicht immer ganz klar wird, woher das Wort kommt. Ob es eine Eigenkration ist.
Trotz der leicht verklausulierten Lyrics werden sie doch, bswp., in „lindner-effekt“ ziemlich deutlich. Nun, er ist ja nun weg, ich frag mal nach, ob sie den noch so spielen.
Das geht in „meiner Gegend“ am 17.01. im Slow Club in Freiburg und am Tag drauf in St. Wendel im Irish Pub.

„alles was er sagt
klingt schlau und bedacht
meistens ist es müll“

genau.
Schade, dass das die andern in der Regierung erst so spät bemerkt haben.
(…)
Es fällt mir noch ein anderer schöner Vergleich ein, sobald „susette“ eingesetzt hat: Captain Planet.
Genug Namedropping, Eigentlich schon alles Lob genug.
Kaptain Kaizen, um die es hier geht, spielen auf „für 3 minuten 11“ sauberer und klingen auch so. Etwas aufgeräumter im Songwriting habe ich das Gefühl. Dieses Gegeneinander von Gitarren, was eben auch live megaspannend ist, gegensätzliche Gitarrenriffs, die trotzdem aufeinanderpassen. Der Drummer, irgendwo immer noch ein tickticktick, ein dungdungdung einbaut – total gut.

Das letzte Stück „die jahre sind vorbei“.  Ein Track über Mitläufer.
Ein schöner letzter Song für ein gelungenes Album. Auch das Artwork gefällt mir gut. Der Junge, der gebannt in die Kopfhörer lauscht, was da als nächstes wohl kommt. So laufen ja viele heute rum.

In den Linernotes, das möchte ich gerne hier noch erwähnen, steht „gestartet vor, und fast gescheitert während und fertigestellt nach der Pandemie“. Hat mich etwas überrascht in dieser Deutlichkeit, was mich dann umso mehr freut, dass sie es durchgezogen + geschafft haben. Klar, mit Hilfe von This Charming Man. Und da fällt mir auch wieder ein, dass wir uns das letzte Mal kurz vor Ausbruch in einer saarbrückner Kneipe auf einem Konzert getroffen haben. Und da wird auch ihre Linie klar, die sie live verfolgen, alternative Bühnen, Kneipen, da gehört ja auch diese Mucke hin.
Humanität ist nicht verhandelbar.
Danke, Kaptain Kaizen.

 

LP: scheissediebullen – simulation eines guten lebens

Die Freiburger Scheissediebullen bringen ihren dritten Longplayer raus, nachdem es 2013 „aufschwung“ und 2016 „anwohner raus“ erschienen ist.
Bei Gunner Records sind sie geblieben und „Simulation eines guten Lebens“ erscheint ergo wieder dort.

Das Cover ist aufwendig im Punkrock-Kritzelstyle. Glücklicherweise nicht auf kariertem Papier, ich würde sonst Rückschlüsse auf etwaig verlorene Schulstunden ziehen, in denen, statt der Performance der Leerkraft zu folgen, das Schreibgerät leergeschrieben wurde.
Die Vorderseite mit einem verträumten Punk, der aus seinem recht aufgeräumten Zimmer in die graue Welt (mit Atompilz) schaut, auf der Rückseite wohl die, möglicherweise von ihm beschmiertes Mauerwerk, Graffitis der Songtitel. Die finde ich allerdings etwas chaotisch angeordnet und unleserlich; da hätte man doch auch gleich einen Deathmetal-artigen Schriftzug… der ein oder andere ist vielleicht nicht ganz so lost wie ich.
Ein vier-seitiges Booklet mit allen Texten liegt bei. Auch optisch sehr schick.

Scheissediebullen machen recht gediegenen Deutschpunk mit recht schlauen Texten. Nach der ersten Runde fetzt mich das noch nicht so richtig, also nochmal von vorne.
Was die Band sympathisch macht sind ihre Spielfreude, der gute Sound und die Zitate. Ich finde Slime, die Toten Hosen, ihr könnt ja auch mal ein bisschen suchen!
Sie sind sich selbst nicht zu schade, Melodien zu klauen und selbstironisch über sich zu singen.
Ziemlich direkt ist beispielsweise „Philosoph“, einer umfassenden Kritik am Werk des Philosophen Sloterijk, der siet zu vielen Jahren an der Karlsruher Unität sein Unwesen treibt.
Erinnert mich desöfteren an Alarmsignal, wer einer unbekannteren Band eine Chance geben möchte, ist somit bei Scheissediebullen ziemlich sicher am richtigen Ort in der Plattenkiste.
Super Songtitel wie „La Deutsche Vita“ oder auch „Sommer, Strand & ein paar Leichen“ machen die 14 Songs eben selbstironisch, aber auch sozialkritisch und politisch. Ja, ein „so tun als ob wir ein gutes Leben führen“ das ist das Thema der ganzen Scheibe. Ist es ja mit der Punkmusik im allgemeinen.
Für Menschen die Mülheim Asozial mögen oder auch die erwähnten Alarmsignal.

Schöne Bundles der „Simulation eines guten Lebens“ (100 Stück limitierte LP mit silbernem Vinyl und Riso-Print, sweete Bundles mit unserem neuen Shirt (starring Hündin Pippa!!) oder einfach die CD oder LP) gibt es bei Gunner direkt.

(dieser Review ist freundlicherweise auch schon bei Vinyl-Keks erschienen)

 

konzert: SCHELM / OIRO / DUESENJAEGER @ wheit rabbit Freiburg 25.Nov.

Endlich mal wieder ne Band sehen, die ich schon zig mal gesehen habe. Endlich mal wieder mit Kumpels irgendwohin fahren. Leute treffen, neue kennenlernen, die bisher schon mal in der Postille auftauchten (SCHELM – Story in Ausgabe #4), einfach: Samstagabend mal raus.
Dann: Telefon. Das Folterinstrument Whattsapp sagt: „kann nicht kommen“ „kann heute nicht fahren“ … durch die Blume: keinen Bock.
Wie kann man auf OIRO keinen Bock haben? Oder auf DUESENJAGER?
Am Abend vorher mit noch mehr geilen Bands in Esslingen. Aber da musste ich Spätschicht arbeiten. Verdammt, ich will nicht allein nach Freiburg fahren. Ist dann doch schon ne Stunde Fahrt. Und ich will n Bier trinken! Oder zwei.
Normalerweise ist bei solchen Aktionen der Samstagabend im Arsch und man geht nirgendwo mehr hin. Diesmal kam ein rettender Anruf einer schönen Frau, die unbedingt mit mir auf diese Reise wollte. Also doch: hin da!

zuerst: SCHELM aus Basel die, wie sie selbst erzählten, sich quasi selbst eingeladen hatten, um die anderen Bands zu sehen. Ach so!
schelm
Liebenswerter Indipunk. Knackig vorgetragen.
Sorry, ich hatte n Bier in der Hand und war ausnahmsweise redefaul. Ich umarme euch ein ander Mal 😉
Die Herren haben übrigens eine Platte aufgenommen! Nach ihrer Split 10inch das erste Full-Length-Album. Wann kommt das?
oiro
zweitens: OIRO
Endlich wieder „gib mal Feuer Spiesser“ oder „lissabon“. Songs, die sich eigentlich immer im Set befinden. Und heute Abend auch gespielt wurden! War sehr gespannt auf die neuen Songs wie „das ist kein camping“ von der neuen Platte „meteoriten der großen idee„.
Alle Songs haben klasse funktioniert!
Texte zum abfeiern und mitsingen. Songs zum Bierduschen und zuhören!
Immer wieder geil, spielen leider inzwischen zu selten. Vor allem in Baden!
Der Weisse Hase füllte sich langsam mit jeder Menge Menschen, was der Stimmung im Laden echt guttat!
Zum Schluss, und drittens:
DUESENJAEGER
duesenjaeger
Ich hatte mich, wie ihr unschwer an den Fotos sehen könnt, keinen Millimeter von meinem Platz wegbewegt. Nach etwa 10 ihrer nach vorne treibenden Songs bin ich dann auch abgerauscht, da die Stunde Fahrt noch vor müden Augen lag.
Große Spielfreude bei den Duesenjaegern, auch hier: klasse Texte, tolle Songs, außergewöhnlich!
Es lohnt, jede Minute dabeizubleiben und sie hinterher an der Theke zu treffen.
Buntes Publikum in jedem Alter. Finde ich gut so.
Hätte gerne abschliessend ne Menge Merch gekauft… hab nur schon alles.
Weil es so super ist.
By the way: auch in meinem Bauchladen erhältlich, das Buch von Jonny Bauer, dem OIRO-Sänger. „scheiternhaufen