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Zu einer Zeit im Sommer 24 hatte ich einen Link via Bandcamp zugeschickt bekommen mit der Empfehlung mir die Dead Pioneers mal anzuhören. Outstanding Stuff.
Und der mir diesen Release empfahl hatte recht: total abgefahren, total gut!
Vinyl nicht mehr zu bekommen und bisher auch nur über die Band und in Amerika.
Dann trudelte im Herbst der Repress für Europa via Hassle Records, ein Londoner Label, hier ein.
Zuerst übernahm es ein*e Kolleg*in in der Redaktion, stieg aber aus, weil das Themenfeld, welches die Band bespricht, doch ein sehr besonderes ist.
Ich hab gleich “hier” geschrieen, aber im Grunde exakt dasselbe festgestellt. Wahnsinn.
Klar, ich könnte es auch lassen, warum sollte ich eine Platte reviewen, die schon im Herbst 23 erschienen ist? Die in beiden Versionen ausverkauft ist, egal ob Original oder Repress.
Die schon heiß diskutiert wurde und durch die Presse gegangen ist.
Deren Review vermutlich mehr eine Abhandlung, eine Bachelorarbeit werden könnte, weil das Thema so komplex ist, so viele soziale Aspekte berücksichtigt werden dürfen, müssen, sollten.
Weil Dead Pioneers eventuell an dir vorbeigegangen ist?
Okay, also los:
Sie beschrieben sich selbst als “indigenous fronted”. Eine kurze Eingabe in meine Suchmaschine zeigte mir bspw. einen Artikel der Frankfurter Rundschau. Hej, wenn eine Band mal nicht in kürzester Zeit angekommen, und hoffentlich auch erreicht hat, was sie sagen will!, dann wohl die Dead Pioneers. Ausgabe 175 vom OX-Fanzine ist ein Interview. Tour als Vorband von Pearl Jam.
Ich denke tatsächlich mal, dass genau dort der richtige Platz ist. Nicht wegen der schieren Größe der Crowd die die Band abfeiern, nein, weil sie wirklich Menschen erreichen für ihre Inhalte. Und zum Nachdenken anregen können und werden!
Kommen wir zu den Songs, endlich: sie starten mit “tired”.
Sofort nach Vorne, ein gutes Introriff, welches sich nicht auflöst durch einen besonders kraftvollen Song und weiteres Riffing, nein, durch die klaren Worte, die Sänger Gregg Deal spricht. Unaufgeregt, deutlich.
America is a pyramid scheme and you ain’t at the top!
(…)
Don’t be scared of learning the whole historical story, it’s not going to hurt you
(…)
This structure is a rigged game that breed racism homophobia, transphobia, classism and ableism.
It all makes me so so very tired.
Und so deutlich der Song angefangen hat, so plötzlich findet er ein Ende.
“we were punk first” startet als klassischer Punksong, der in ein paar Zeilen nach vorne ballert, dann in Spoken Word übergeht. Ja, ein wenig gewöhnungsbedürftig ist es schon.
Doch wer auf der Suche nach etwas Besonderem ist, etwas, dass Worte findet und zum Ausdruck bringt, was 99,9% eben genau nicht sagen, dann bist du hier absolut richtig.
Schwarze haben wohl diesen Proto-Punk mit erfunden. Musikhistorisch ist das sicherlich diskutabel. Am Ende ist das, wie so oft, ja komplett egal, wer es nun erfunden, die, die die Kohle haben, die haben es groß gemacht.
Und ausverkauft.
Ich kann den Indigenous und Blacks nur entgegenrufen: danke dafür, habt ihr super gemacht, denn ohne euch wäre dann die Rockmusik vermutlich immer noch so langweilig, wie sie schon bei Song 135 von Elvis war.
Der Bandname, würde ich sagen, in Anlehnung an The Last Poets, eine afroamerikanische Gruppe von Dichter*innen und Künstler*innen, die in den 1960er Jahren gegründet wurde. Vermutlich sagt es euch aber mehr, wenn ich Henry Rollins als Spoken-Word-Vertreter erwähne – er ist halt ein Weißer.
All diese Feststellungen zusammengenommen führen zu all diesen Ausschlüssen, diesen -ism Begriffen.
Wieder zurück zur Musik:
Einige Stücke sind einfach nur unterlegt mit Gitarren-Sounds. Das ist nicht meganoisig und krass, sondern einfach eine Atmosphäre. Der Sänger gibt nie Vollgas.
“bad indian” ist ein wahrlich zynischer und harter Track. Gregg erzählt in den Songs über seine Erlebnisse, den Alltagsrassismus, der ihm überall begegnet. “du siehst ja gar nicht aus, wie ein Indianer”.
Er formt in seinen Worten die Sozialkritik um in politische Statements. Ohne je eine hohle Phrase gedroschen zu haben. Er stellt fest, was wir alle wissen und nur in allerkleinsten Teilen versuchen für sie und mit ihnen zu verändern.
Die Selbstreflektiertheit zu besitzen, über sich selbst ironisch zu sprechen und dann einen Text rauszuhauen wie “this is not a political song”. Darin eine Geschichte zu erzählen, aufzuzählen was ersteinmal nur Worte sind, doch wenn man sie in einen Zusammenhang bringt, versteht man, dass es um Minderheiten geht, die von Anfang unterdrückt wurden von Weißen.
Ein fast 5 minütiges Stück, groovy, sehr gut zu folgen, ich habe nie das Gefühl, dass mir hier eine Meinung aufgedrückt wird, ein politischer Wunsch geäußert wird, was ich zu tun habe. Denn was ich zu tun habe, muß ich schon selbst rausfinden.
Zum Ende des Album ein Spiegelbild mit “doom indian”.
Der letzte Track “noone owns anything and death is real” sowas in der Art wie Bad Brains oder Dead Kennedys. Es geht nur nie ums Gitarrenriff, dass das hängenbleibt. Es ist alles ausgerichtet auf die Vocals.
Die Drums sind etwas offener, guter, satter Sound.
Trotz des einen sehr langen Tracks ist die Platte nur 22 Minuten lang, beinhaltet viele Worte in 12 Songs. Es lohnt all das!
Fantastischer Release. Eine neue Single namens “my spirit animal ate your spirit animal”.
Dead Pioneers sind Gregg Deal – Vocals, Joshua Rivera – Guitar, Abe Brennan – Guitar, Lee Tesche – Bass, Shane Zweygardt – Drums.
Erschienen via Hassle Records.
PS: Ich fragte in der Redaktion rum, wer mir ein wenig zum Thema Indigene Hilfe geben könnte, denn von einem Fettnapf in den nächsten zu treten ist ganz sicher hier der falsche Ort.
Einer unserer Redakteure ist mit einer indigenen Person zusammen. Ich bekam folgende Nachricht:
“die Wahl Trumps ist eine große Bedrohung für die Rechte Indigener (er will mal wieder Land enteignen um dann Fracking zu betreiben und solche Geschichten…) und eventuell ist auch sowas ganz interessant, dass die Rate an Jugendsuizid bei keiner Minderheit so hoch ist wie in indigenen Communitys – dasselbe bei Alkohol und Drogen.
Oder das die sexualisierte Gewalt an indigenen Frauen laut Amnesty International “epidemische” Ausmaße annimmt. Oder, dass die systematische Unterdrückung bis heute anhält, weil in einigen Bundesstaaten (bei Trump dann wohl noch deutlich mehr) z.b. indigene Schriftsteller*innen zensiert bzw. ihr Bücher schlicht verboten sind. Und das sind nur mal “die größten” Themen. Du siehst, die Review könnte auch eine Bachelorarbeit werden.
— richtig, ihr habt nun 1000 Worte gelesen —- lasst uns was draus machen!
dieser review erscheint auch beim Vinyl-Keks. Mehr Reichweite und so!