konzert: 21.&22.09. degenerated jerks – tour de karslruh

[Gastbeitrag von Joey Controletti]
in Coop mit Felix Frantic

Mittwoch, 21.09.2022, Alte Hackerei Karlsruhe.
Zwei Handvoll zahlende Gäste – schlecht für die Anwesenden, gut für die Karlsruher Feuerwehr. Denn das Line Up an diesem Abend hätte, gemischt mit entsprechendem Publikum, einen Krater ins Schlachthof-Gelände gebrannt.
Opener sind Degenerated Jerks, ein Chemie-Brand mit garagig-hardcorigen Emissionen. Die beteiligten Wissenschaftler sind bekannte Täter aus anderen Laboren, u.a.: Zero-Zeroes, Astrokraut, Zøggn a.k.a. Typhuzz a.k.a. ¿¿¿ und The Bone Idles. Mit dabei, im Chemiebaukasten der Band, ist die brandneue EP auf Zwölf-Zoll-Vinyl, je halbseitig bespielt und besiebdruckt. Das Set dauert etwa 20 Minuten und weist eine hohe Dichte auf, bestehend aus Hardcore-Riffs nach Los Angeles Art, einem Arschtritt in die Fresse und viel Witz.
Ein gut bemessener und sättigender Cocktail, nach dem einem nichts fehlt. Die Kirsche auf dem bunten Glas ist ein GØGGS-Cover, welches das unterhaltsame Set passend abrundet.

Weitere Pomade gießen anschließend Pink Room (BEL) ins angefachte Feuer. Angetreten als Threepiece, bringen wahre Meister ihres Fachs das anwesende Publikum zum schmelzen. Der Bassist und Sänger der Gruppe wirkt wie ein Brandstifter, der, auf einer Feder-Boa reitend, den Siebzigern entstiegen ist und mit seiner Fingertechnik auch eine Konservendose voller Bockwurst zum Höhepunkt bringen könnte.
Seine Schreie brennen mit Vollgas eine Schneise ins Belohnungszentrum und lassen uns einem fiktiven Gott danken, dass wir das erleben dürfen. Virtuos gespieltes Schlagzeug und Gitarre erzeugen noisig-garagige Klänge in einer Klarheit, rein wie Flammen, und präsentieren ausgezeichnetes Songwriting, das 100 % live erlebbar ist.
Bleibt nur zu sagen: Danke an alle, die an diesem einzigartigen Abend beteiligt waren!

Donnerstag, 22.09.2022, P8 Karlsruhe
Ich denke, es waren etwas mehr Gäste da, einige sehr liebe Menschen wiedergetroffen, gleich ins Gespräch gekommen. Doch auch gleich, bei meinem Eintreffen, ich kam gerade von meiner Bandprobe, spielten Degenerated Jerks schon den ersten Song. An der Wand Wrestling über BEamer, ein zappeliger Sänger, der versuchte zu der eigenen Belärmung zu tanzen, ein megalauter Bass, auf meiner Seite die Gitarre kaum hörbar, geil. Dazwischen Quietschen und rauschen und Gesprächsfetzen aus einem Looper und Effekten. Ein Mikrofon, welches nicht richtig funktionierte und im laufenden Betrieb getauscht werden musste. nach 22 Minuten und 12 Sekunden war der Gig vorbei.

Manu (Gitarre) war ganz angetan von der Tour de Karlsruh‘, ein paar ihrer einseitig bespielten Platten gingen über den Tisch, das ist doch super!
Es dauerte ein schönes Gespäch mit Freddy von InDecision, bis die englische Band Bad Breeding den Lautstärkepegel noch ein wenig nach oben schob. Anarchopunk, wurde mir versprochen. Joah, kann man so sagen. Plötzliche Tempowechsel, Gesangswut, mal schnell, mal langsamer.
Ich stand wieder auf der Bassseite, tauschte irgendwann mal auf die andere; ich denke, das nächste Mal werde ich mich in die Mitte stellen, haha!
Sänger der Band lief schimpfend über die Bühne und durchs Publikum, während der Trommler versuchte sich gegen die andern Instrumente durchzusetzen. Bad Breeding sind gerade auf Tour durch Europa und spielen noch bis Sonntag.

Die Songs irgendwo zwischen all dem Lärm nur zu erkennen, da der Bassist meist ein paar Töne vorgab, bevor alle einsteigen. Dazwischen viel Lärm, eingespielte Textfetzen und ein Gitarrist, der sich nie zum Publikum drehte.

10 vor Neun war Beginn, um  22 Uhr irgendwas entließ man uns mit Ohrensausen wieder in die Nacht. Schee.

festival: gutensglück #1 – 16.&17.09.2022 – Kapitel 1 & 2

Kann denn ein Festival kacke sein, wenn es so heißt?
In der Pampa rund um Magdeburg befindet sich die Börde. Dort gibt es viele kleine Ortschaften, die irgendwas mit „-leben“ im Städtnamen haben. Oder „-wegen“, ja, klar, es gibt auch noch ganz doll andere, ist ja auch nicht wichtig. Ein so lustiger Spruch wie der von einem von den drei Detlef’s aus Köln fällt mir sowieso nicht ein; dazu später mehr.

Kapitel 1
„Vorgeplänkel“
Ich freue mich ja seit gefühlt Monaten schon dort hinzufahren, es war nicht ganz leicht für mich, das mit meiner Familie zu organisieren. Na, hat ja geklappt, ich sitze im Auto. Freue mich. Der Weg dorthin, ist schon ziemlich weit. So knappe 600km – one way. Gut für die Öko-Bilanz!
Nach und nach wurden die Bands bekannt gegeben und ich freu mich tierisch die neue Band von Tuba, den ich nun schon soooo lange kenne, und noch nie von seiner zweiten Zweitband gehört habe. Die Boitels. Peppone werden spielen. Dann freue ich mich über Grüner Star! Da ich mit Nils schon so viele Jahre maile und noch ein paar Platten in meine Plattenkiste genommen habe, aber persönlich noch nie getroffen! (PS: Schneller Autos Organisation!)
Weiter gings mit Bands, mit denen ich irgendwie bekannt bin: Dr. Dexter, Von Hölle, Hasenscheisse (ihr kennt die nicht, whaaaat?, aber ich kenne die, whaaaahaaat?) oder Interna.
Da musst ich erstmal im Netz gucken und stellte dann fest: mensch, da kenn ich doch den Steven und Stulle, die haben bei Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen … aber das ist ja auch schon… Jahre her.
Am gespanntesten bin ich darauf, ob und wie mich Chrischan von Hasenscheisse begrüßt, wenn er mich an einem Ort trifft, an dem er mich nun so gar nicht erwartet; wir haben uns auch sicher 10 Jahre nicht gesehen.
Also ein kleines, feines Festival für mich auf Augenhöhe, mit total persönlichem Bezug und freundschaftlich.

Auf dem Weg durch die Republik regnete es. Wer zur Hölle kommt auf die Idee, Mitte September ein Open Air zu machen? Es ist plötzlich kühl, innerhalb von Stunden ist vergessen, dass es den ganzen Sommer heiß war. Ich habe mindestens einen Pullover zu wenig dabei, immerhin: eine Regenjacke.
Und wieso komme ich dazu, meinen Öko-Fußabdruck so derart zu zerstäuben?
Je mehr Baustellen ich befahren darf, desto düsterer werden mein Gedanken. Zwei Mal Stillstand für 10 Minuten und kein Unfall oder andere Katastrophen in Sicht; nur dumme Autofahrer mit „fuck Greta Aufklabern“.
Ich höre die zwei megaklasse ersten Alben von Rantanplan, um mich zu erheitern. Es klappt auch, bis ich dann denke: ach, jetzt kannst auch was Aktuelles von denen hören! Ui. Ich mach ganz schnell wieder aus. Das Genuschel und ultrabrutalschnelle Sprechsingen ist einem unerträglich durchgemixten Popsound gewichen. Ist ja auch lang her „kein Schulterklopfen“ und „gegen den Trend“.
Ich wollte um neun Uhr los. Habe es auf 10 Uhr geschafft. Wollte um 16 Uhr dort sein, nun ist es 17Uhr30 und ich stehe, laut Link an der richtigen Stelle. Ist nur mitten im Dorf, ich fahre hin und her, telefoniere, finde, Umarmungen, jetzt erstmal Pipi und dann ein Bier; schon geht’s los:

(ab hier mache ich Copy & Paste beim ausführlichen Bericht von Steven von Interna. Er hat das ganz wunderbar beschrieben, und mit seiner Erlaubnis, von mir gegengezeichnet, sozusagen.
Randnotiz: ich habe mit (fast) jeder Band kurz geschnackt und diese Interviews kommen noch jedes einzeln!)

Kapitel 2
„Frame in Frame“
Die Straßen werden schmaler, die Beläge ruppiger, und die Wände rücken näher ans Auto: Wir sind im ländlichen Osten, im Bördekreis genauer gesagt, Niedere Börde noch genauer gesagt. Where‘s the playground, Susie? Wir rumpeln durch Groß und Klein Ammensleben, Gutenswegen und andere Orte mit positiven Namen. Die Wasserdichtigkeit der von Tengo Peppone telegrafierten Wegbeschreibung erweist sich letztlich als Vorbote einer extrem runden Sache, so rund wie ne blankpolierte Kastanie im Herbst. Wie eine von denen, die ich morgen früh in Klein Ammensleben aufsammeln werde.
Irgendwann sind wir da, werden von Jens und Normen herzlich aufgenommen und mit den nötigsten Informationen (Parken, Pinkeln, Poofen) versorgt. Währenddessen spielen die lokalen Dr. Dexter traditionellen Punkrock mit dem Willen zur heiseren Hymne, bei dem aber die prominenten Keyboard-/Klavierpassagen aufhorchen lassen. Völlig frei von solcherlei Brüchen scheinen mir hingegen Keele aus HH zu sein, geschmeidiges Quartett, ausdrucksmäßig für MICH ALTE, ABGEKOPPELTE SALZKARTOFFEL natürlich eine Punkrock-/Rockpunk-Inkarnation von REVOLVERHELD. Das pneumatisch rundumgefederte, alle Zeit „Engagement!“ kommunizierende Fitneßtrainer-Gehüpfe des Bassisten macht mich am fertigsten, aber gecoacht wirkt die ganze Band. Morgen werde ich mir unsere Setliste auf die Rückseite der Keele-Setliste kritzeln und die Regieanweisung „Ciao/Merch/Socialmedia“ vorm letzten Lied entdecken. Ciao, kauft unsere Vinylplatten und folgt uns auf Inza. Geleckt. Und jetzt fallt über mich her, freßt mein Gehirn und mein Plauzenfett.
Wir verbringen den restlichen Abend am Lagerfeuer bei Currywurst und Kartoffelspalten mit Zwiebelstippe und freuen uns des Lebens. 23:30 Uhr archimedisiere ich mich in meinen Schlafsack und schlafe in der spartanischen Stockbett-Hütte 6 Std. straight durch. Stulle, der alte Penn-Artist, schnurchelt heimelig ins Ikea-Laken, und ich wittere Chancen, die das Leben evtl. gerade für mich anrichtet. Aufstehen, rausgehen.
Stapfe ungeduscht und ataktisch auf der Lichtung umher, schaue mir die Baracken an, die rauchende Lagerfeuerasche, die Autos und die Bühne, auf der ein halbes Schlagzeug und ein Trio toploser Boxen darauf warten, von Flechten, Moosen und Ranken überwuchert zu werden. 1936, als dieser Ort noch ein Schwimmbad war, campierten hier die italienischen Olympioniken. „Da war Bud Spencer bestimmt auch bei“, denkt mein benebeltes Hirn mir vor. Waldspaziergang wird nichts mangels Wald. Ich erklimme den Hang, auf dem die Schlafhütten stehen, und sehe im Horizontdunst den Salzberg des ehemaligen VEB Kaliwerke „Ernst Schneller“, Zielitz, quasi also den Ayers Rock von Sachsen-Anhalt. Peppone haben einen Song namens „Kalimandscharo“ über diesen fremdartig in der Landschaft liegenden beige-braunweißen Hügel geschrieben, und über den Acker, auf dem ich stehe, schiebt der kühle Wind Wolkenstränge verschiedener Grautöne. Endlich Herbst. Endlich wirklich Herbst. Jedes Jahr warte ich länger drauf.
Unterm kalten Wasserhahn des aufgerissenen Herrenklos Haare und Sonstiges waschen. Mal zur Straße gehen und schauen. Plötzlich nicht mehr pleite sein, weil am Wegesrand 10€ liegen. Zu Fuß nach Klein Ammensleben, weil sie da vielleicht Kaffee haben. Eine Einheimische versichert mir, daß es „…hier im Durf…“ GAR NICHTS gibt. Oder wie Detlef es heute Abend ausdrücken werden: Man sei durch jede Menge Orte gekommen, die irgendwas mit „-leben“ heißen, „…aber sah gar nicht nach Leben aus!“
Also wieder zurück zum Slot. Fremd in der Börde, und Alleinsein ist ein rares Gut in meinem derzeitigen Leben, so daß ich jede Minute, die ich unter rauschenden Bäumen dahergehe, genieße. Es ist der Morgen eines perfekten Tages.
Wenig später geben sich die Wohltaten schon die Klinke in die Hand und rennen bei uns offene Türen ein. Peppone tischen Frühstück auf, und die Sonne beginnt ihre Tagesschicht. Stulle und ich holen die Hobel aus den Futteraalen und daddeln rum. Simme, was macht der eigentlich? Schlaf nachholen, aufem Übungspad klöppeln? Mit Anlauf in den Wald förstern? Ordnungsgemäß die Grenze verzollen und simultan die Mutti verlinken? Sich gebenedeit ein paar unter die Tonsur mönchen? Sich gehörig was ins Keyboard klimpern oder einen hinter den Schnuffi atmen? Etwa die Rinne verzinken? Ich weiß es grad nicht.
Nachmittags Spaziergang zum Mittellandkanal mit Tuba (Ben Racken, Die fabelhaften Buckau-Boys undwasweißichnoch) & Felix (pADDELNoHNEkANU, Provinzpostille, Vinyl-Keks): Interessante Gespräche über Punkrock im Wandel der Zeiten, den Magdeburger FC und die Gegend, Beinahtuchfühlung mit Nandus und zunehmender Regen. Gut, daß Team Peppone bereits am späten Mittag zwei Pavillons direkt an die Bühne gezwirbelt haben. Unter ihnen werden sich nachher die Leute versammeln und wegen des Regens auch nicht weggehen. Sprich: Der ganze lange Abend wird eine einzige, herrliche BANDS-UND-LEUTE-SITUATION sein! (war gestern allerdings ohne Regen und Pavillons auch schon so!)
Als wir zurückkommen, hat Jens bereits Kürbissuppe auf dem Kocher. Ich habe schon so manche Kürbissuppe verkasematuckelt, aber diese gehört zu den Top-Pumpkin-Five! Dazu ein paar vegetarische Schmalzkniften, und schon fühl ich mich wie Steven Frame an einem Samstagabend mit Kürbissuppe und Schmalzkniften.
Grüner Star machen den Auftakt einer höchst abwechslungsreichen Handvoll Bands. Meine Sympathometer schlägt gleich ein wenig aus, weil der Gitarrist eine Fidel Bastro-Pudelmütze trägt. Man soll ja die Menschen nach ihrem VERHALTEN beurteilen, nicht nach ihrer KLEIDUNG, und eine Mütze aufzuziehen, das ist ja ein Verhalten. Der Sänger erinnert mich an Peter Hein, aber nur wegen seines idiosynkratischen Auftretens; halt einfach ein TYP, der authentisch sich selbst transportiert und eine menschliche Aussage macht, der ich mich nicht entziehen kann und möchte. Seine Gesangspausen nutzt er zum Tanzen mit geschlossenen Augen, aber ohne animatorischen Gestus. Für sich macht er das und zieht während der 40 Minuten, die Grüner Star bestreiten, eine Schneise in die Crowd. Kein Bad in der Menge, eher ein Vordringen. Baut Spannung auf und hält die Balance. Der Regen sei ihm und seinen Kollegen von Hamburg bis hierher gefolgt, erklärt er. Gut zu wissen, ich dachte nämlich, WIR wären das gewesen.
Die Musik bewegt sich im weiten Feld zwischen Indie und Punk, BPM-Quotienten von Midtempo bis Motorik, manchmal beginnend repetitiv und auf eine kratzbürstige Art fließend und offen. Kann ich auf Anhieb was mit anfangen, und später wird mir der wundervolle Felix ihr Album „Hauptsache, es bleibt friedlich“ für umsonst überreichen, was mich ziemlich vom Podest schwiemelt. Die Zeile „Ist dir die Luftfeuchtigkeit der Nacht in die Augen gefallen?“ soll mich heute noch ein wenig begleiten, repräsentativ für die überragenden Texte dieser Gruppe. Eine Entdeckung! Toll!
Unser eigenes Konzert (das siebente unserer Karriere) geht danach zu meiner vollsten Zufriedenheit über die Bühne, und das ist selten so. Die Leute gut, wir gut, Sound gut, Gelöte macht mit, Kommunikation funzt – eins der besten Konzerte, die ich je gegeben habe und unser bestes bisher. Hinterher wollen Zwei zuerst etwas von uns kaufen (aber wir haben ja nichts) und dann wissen, was wir beruflich machen. Vorher möchten sie aber raten und tippen bei mir auf Pfarrer. Das gefällt mir.
Selbst mit Hasenscheisse kann ich heute etwas anfangen. Ihre „acoustic guitar trash balladen“, aus denen ich mir einen gewissen Brecht/Weill-Einfluß heraushöre, sind nicht mein Ding, aber ich genieße den Auftritt und fühle mich blendend unterhalten. Extrem aktivierende Polka-Refrains wechseln sich mit rhythmisch offenen Intermezzi ab, in denen die Geschichte des jeweiligen Songs mehrstimmig weitergesponnen wird. Macht einfach Sauspaß, da zuzuhören. Und unterm Pavillondach fliegen die Extremitäten, während Stulle und ich uns die nächste Rutsche Kartoffelspalten reinmähen und uns von Anke und Otto vom Kali-Lauf erzählen lassen: Letztes Jahr hat Tuba auch mitgemacht und ist bei 35 Grad Celsius den Kalimandscharo hoch, aber da hatte Otto ihn längst abgehängt.
Den emotionalen Höhepunkt setzen aber Peppone, deren Energie, Fleiß und Liebe wir dieses rauschende Fest zu verdanken haben. Mag sein, daß es in musikalisch-technischer Hinsicht gar nicht ihr bester Auftritt ist, und auch der Sound ist zumindest anfangs echt brüllig, aber die großen Punkmomente der Geschichte haben diese Vorzeichen immer umgedreht, und deswegen waren sie so begeisternd und so gut. Punk handelt von Leuten, die was Eigenes auf die Beine stellen (klingt jetzt ein bißchen nach Jodeldiplom, ist aber auch wahr), und diese vier Typen sind so punk wie nur was. Endlich normale Leute!
Stunden später wird mir Stulle, der mit melancholodischem Punkrock wie diesem nicht automatisch was anfangen kann, erzählen, daß ihn die menschliche Größe, die hör- und lesbar in diese Musik und die Texte eingeflossen ist, unerwartet berührt hat; daß Hoffnung und Optimismus darin wären, trotz aller thematischen Heftigkeit (Flucht, Krebs, Tod, gescheiterte Existenzen). Er hat es erfaßt. Peppone sind die wahrhaftigste Band des Abends, sie sind Familie und holen sich ihre Lieben auf die Bühne. Jens‘ Tochter nimmt sich am Ende ihres Vokaleinsatzes einen dieser extrem süffigen Mexikanerschnäpse* vom Tablett und enteilt, ihn stürzend, in die Menge, am Vater vorbei, der ihr mit einem „Ach-so-ist-das-also“-Blick nachschaut. Riesenkurzfilm.
(*Alter Sombrero, dieser Mexi-Schnappes: Kurz vor meinem längst zur lieben Gewohnheit gewordenen „Shellober“-Gesangscameo stürze ich mit Simme einen dieser roten Teufel, und der fährt mir so hart und würzig ins Gedärm, daß ich zügig den Sanitärbereich aufsuchen muß. Längerfristige Folgen bleiben aus. Klammer zu)
(Zweite Klammer: Als Frank Mühr mir bescheinigt, „Shellober“ gut gesungen zu haben, weiß ich noch gar nicht, daß das FrFrank Mührst.)
Eigentlich braucht jetzt nichts mehr zu kommen. Simme und ich auf zwei Stühlen im verwühlten Backstage, und bei ihm gehen die Lampen aus, er wird quasi neurophysiologisch runtergedimmt und kündigt an, sich im Bus abzurollen. Ich erwäge kurz, es ihm gleichzutun, gehe dann aber doch wieder raus und kröne mir den Abend mit den fantastischen Detlef aus Köln; allein auch, weil ich aus alter Liebe schwer an einer Band vorbeigehen kann, in der Eine/r eine Firebird spielt – wie Frank Mühr.
„Gut gelaunter Haß“ ist Detlefs Credo, und das greift tiefer als „Funpunk“, aber ein ums andere Mal scheckig lachen müssen Stulle und ich uns bei Titeln wie „Scheiße ich muß pissen“, „Wie kann man sich nur nicht für Fußball interessieren“ oder „Barclay James Harvest“ doch. Gleichzeitig stehen diese Typen ganz klar auf der guten Seite, ohne im geringsten den Konfektionierungen des Punkrockbetriebes anheimgefallen zu sein, und beliebige Lustigheimer sind sie auch nicht. TYPEN!! Humor, verdammt! Authentizität, ja, ja, bla, bli, blumm, wir sind ja hier nicht im Personalityzoo, normale Leute halt, die beim Frühstück am nächsten Morgen auch mal „Kopulationspsychose“ sagen, ohne daß komische Vibes aufkommen. Und ein brachial geprügelter, aufs Nötigste reduzierter Zweiminüter tritt dem Vorigen in den Arsch. Keine der großzügig auf die Bühne gereichten Alkoholspenden (Durcheinandertrinken? Ja, bitte!) wird stehen gelassen. Texte über Saufen und saufen, ohne daß die Performance Kinken kriegt. Drummer spielt open handed, wirkt auch bei fliegenden Tempi völlig entspannt, und 2-3x pro Song nimmt ein verschmitztes Lächeln in seinem Gesicht Platz. Ich bin verliebt und kaufe mir von teils geliehenem Geld zwei Platten.
#längesterreviewallerzeiten und es kommt noch mehr!

LP: Syndrome 81 – prisons imaginaires

Endlich: die erste Full-Lenght von Syndrome 81 aus Brest im Nordwesten von Frankreich. 10 Jahr hat die Band sich dafür Zeit gelassen.
Ich nehme es vorweg: es ist großartig! Und es ist anders, als wir sie bisher kannten.
In 2017 hatten sie eine Compilation diverser 7Inches als LP rausgebracht „béton nostalgie“. Das war der Moment, in dem ich sie tatsächlich wahrgenommen habe. Ich liebe die 7er, alle!, aber eine LP bekommt halt eine andere Aufmerksamkeit.

„Prisons Imaginaire“ (eingebildete Gefängisse) heißt das erste Full-Length, was sie uns auf den Plattenteller knallen. Im Grunde ist es nicht mehr notwendig überhaupt ein Rezi-Exemplar zu verschicken. Ähnlich vllt wie Pisse hier in Kaltland, muss man bei Syndrome 81 wohl damit rechnen, dass die Erstauflage ziemlich schnell vergriffen ist. Und ich habe tatsächlich zwei Tage fünf Stunden und 26 Minuten gewartet … zu lang gewartet. Weg war die farbige Auflage. Dann halt die andere. Egal.
Ich war zu der Zeit (zu) viel in Arbeit und hatte einfach keine Zeit, diesen einfach Onlineeinkauf  bei Sabotage Records (dem deutschen Vertrieb) abzuschliessen. Als ich nach einer Weile nach Hause kam, war das Paket da und ich schaute ganz schön erstaunt aus meinen Glupschern, als mir zwei LP’s in die Hände fielen. Eine LP ist mit Demo- und alternativen Versionen versehen. Fab (der Sänger) schrieb mir „Yeah this is no more a big secret that free bonus LP, we plan soon to put the songs online“, das war im August und ja, sie sind online!
Für den Preis, Freunde, wahnsinn!

Los geht’s mit „vivre et murir“, was leben und sterben heißt, und sie holen mich sofort ab – obwohl sich ihr Sound eklatant verändert hat! Er ist nicht mehr so punkig und rough. Viel Hall und New-Wave weht da durch die Musik. Litovsk spielen sowas in die Richtung auch.
Sie verlassen sich directement auf ihren neuen Sound. Das geht rein wie Butter. Klitzekleines Vorspiel, zwei Gitarren spielen zwei Melodien gegeneinander und Fab krakehlt seine leicht unterkühlten Lyrics darüber. Wie der Wind, der „dans les rue de brest“ vom Atlantik her durchzieht.
Post-Wave-Punk-Hit diesen Herbst! Zieht euch den Scheiß rein. Ich bin so hart begeistert von Melodie, Herz und einen Singalong, der zum verlieben ist.
Man könnte schon fast meinen ohohoh, die Band hebt ab. Jetzt haben sie sich so lange Zeit gelassen, um uns Midtempo-Mitgröhl-Singalongs um die Ohren zu hauen. Aux contraire!
Mit „future périmé“ sind sie bissig wie die 10 Jahre zuvor. Angeknüpft an diesen knallig nach vorne gespielten Oi-Punk mit diesem britischen Waveeinschlag. (über die französische Szene zu dieser Zeit weiß ich allerdings wenig)
Vor einer ganzen Weile schon habe ich Syndrome 81 angefragt an der für sie östlichen Grenze zu Deutschland zu spielen, Strasbourg und Rastatt, doch 1100km one-way sind dann doch sehr weit für ein Konzertwochenende. Das Begehren wird allerdings durch solche Releases nur noch größer, haha!
Neulich hatte ich in der Alten Hackerei ein Shirt von ihnen an und wurde angesprochen! Es gibt noch mehr wie mich. Das finde ich gut!
Was Syndrome 81 in der Folge, auf dem Album schaffen ist, eine Waage zu halten zwischen hart und weich. Eine Kombination aus eigenem Sound, den sie jetzt gefunden haben, Genreübergreifendem Songwriting, Tristesse im Gesang, Einfachheit und trotzdem bleiben die Melodien nicht wie Honig in den Ohren kleben.

Ungern, ganz ungern möchte ich hier im Blog etwas so hart abfeiern, sonst unterstellt mir noch Bierschinken oder so, dass ich zu denen gehöre, die immer alles abfeiern in ihren Reviews; DAS hier, gehört hart gefeiert! Und ja, sie singen alles auf französisch und nein, es liegen keine Übersetzungen bei. Macht aber nix. Ich hab auch schon jede Menge Bands in fremden Sprachen gehört und es stört mich nicht die Bohne, es erstmal nicht zu verstehen. Tomar Control zum Beispiel!
Vor 20 Jahren hätten mir Syndrome 81 vermutlich gar nicht mitgegeben. Für heute ist das ein großer Wurf. Ein absolutes Hitalbum.

Das außergewöhnliche Artwork ist von Hugues Le Corre & Nicolas Bazire von No Sun Media. Nicolas macht auch noch das französische Label, auf dem diese Platte erschienen ist Destructure Records

zu den Outtakes:
Es sind schon einige Veränderungen in den Songs passiert und ich feier auch das total ab, das eine Punkband uns diesen Einblick gewährt.
Einige sehr viel roughere Songs befinden sich auf den beiden weiteren Seiten. Hört rein, es lohnt sich.

MC: antimanifest – lernzielkontrolle

Als wäre 2018 erst gestern gewesen, schließen Antimanifest mit ihrem Intro an das an, welches sie schon als „neonstarter“ auf dem letzten Release hatten. „erdrückend und still“ ist eben genau das nicht. Abwechslungsreich, laut und schnell.
Von vorne: Antimanifest liegen hier mit einem superschick aufgemachten Tape vor mir. Stoffsäckchen bedruckt, klasse Design, eine oldschool Zapfsäule – macht den Eindruck, als hätte die Band da Weitblick bewiesen!
Im Säckchen ist eine Klapppapphülle (ja, dieses Wort habe ich soeben ersonnen), die eine verrammelte, baufällige Tankstelle zeigt, vor der ein Mann (?) sitzt, der sich die „Tafel“ anschaut.
Die Frage, die sich aufdrängt bei so einem wirklich 1 A Coverartwork: wo bleibt das Vinyl? Das Artwork ist wirklich liebevoll, gut gezeichnet und ideenreich. Schön eingearbeitet in die Möglichkeiten, die die Faltung des Pappschuber mit sich bringt. Dabei ist auch noch ein knapp A4-großes Textblatt. Eine Seite Lyrics, eine Seite das Coverbild nochmal etwas größer. Christian Brix heißt der Künstler, der dies Cover gemalt hat.
Ich nehme mal an, da die Band bisher bei Twisted Chords war, wo nun so einige Bands ein neues Zuhause suchen, da Tobi zum Ende diesen Jahres seine langjährige und umtriebige Tätigkeit an den Nagel hängt, dass deswegen „nur“ ein Tape entstanden ist, als analoger Release.
Antimanifest haben sich wohl vier Jahre von „am Ende aller Tage“ bis zu „Lernzielkontrolle“ Zeit gelassen, da es einen Wechsel in der Band gab, und zwar den entscheidensten: Gitarre/Gesang haben gewechselt. Nun, Vik singt um einiges rougher, hat eher ein Rostkehlchen als eine zwitschernde Singstimme. Und natürlich sind die Songs auch etwas, ja, härter geworden.
Klar ist, Antimanifest machen melodisch, melancholischen Punkrock mit ernsten Texten und fahren eher im Emofahrwasser, als mit einem Parolenpunkkahn. Also eher Hot Water Music als Es war Mord; musikalisch!
Der Dreier ist seit 2014 gemeinsam unterwegs; sie waren mal zu viert.
Als Video gab es eine Auskopplung zu „Messer“ (achtung, das Video beinhaltet Flashlights“), dem zweiten Song der EP.

Eine klare Abrechnung mit dem Geschwurbel der Covid-Gegner.
Der Dreier spielt ziemlich gut zusammen, der Sound druckvoll, läuft richtig gut durch!
Die fünf Songs sind recht abwechslungsreich, von sehr ernstem Text „ins Messer“ hin zu etwas witzigerem wie „Computerwarrior“. Welches der dritte Song auf Seite eins ist.

Auf Seite zwei dann vom Tempo her die etwas „abgehangeneren“ „im Zweifel dagegen“ und „Freier Fall“.
Mich erinnert das Musikalische desöfteren an Krawehl oder Willy Fog. Keine Ahnung, ob das hier noch jemand kennt, haha!
Jedenfalls: super release, taugt richtig richtig gut.

Anhören bei Deezer.

(Dieses Review erscheint so ähnlich noch beim Vinyl-Keks.)

fanzine: rauditum #7

Die Dresdener bringen spät dieses Jahr ihre erste Nummer raus. De Wessi und Ugly haben sich in dieser Ausgabe wieder gemeinsam auf den eg gemacht uns die Oi-Szene näher zu bringen, persönliche Gedanken zu teilen, nehmen kein Blatt vor den Mund und füllen damit 72 Seiten.
Die Papierkrise, und all die andern Preiserhöhungen, sind nicht spurlos an ihnen vorbei gegangen. Wie auch schon das Plastic Bomb im Vorwort berichtete.
Zwischen kurzen und knackigen Bandvorstellungen, die gleich am Anfang drei Hardcroebands aus Österreich und Kaltland vorstellen, folgt ein recht ausfühlriches RAWSIDE-Interview, was in Länge und Ausführlichkeit vom Uwe Umbruch (ex- Public Toys, The Revolvers, Destrict, Hotel Energieball und Kommando Marlies) geschlagen wird. DerHauptgang besteht aber aus noch mehr Interviews, denn Punkrock allein nhrt das Oi-Herz ja wohl kaum, zwinker. Alex von der Lauta Crew und Jens von Restloch und Striking Surface die Anfang der 90er im Wilden Osten zwischen Bautzen, Gera und Lauta Konzerte veranstaltet haben. Sie berichten von ihren Schwierigkeiten zwischen linker und a-politischer Haltung Konzerte in einem Jugendzentrum zu veranstalten. Aber lest selbst, gutes Interview!
Pleasure Trap und G.L.O.S.S. (CD-Beilage) bekommen noch ein Interview. Viele Reviews zu Tonträgern, Büchern und Zines sind drin.
Die unsortierten Gedankenfragmente von Ugly empfinde ich diesmal mir als sehr nah.
Ich danke für ein überaus cool gemachtes Heft und werde euch da weiter treu bleiben. Es gibt auch ein Abo. Meldet euch doch einfach per mail

7inch: Lügen vs Rosa Blaulicht

Das witzige an Singles, oder auch 7inches, ist ja, dass man die meist irgendwo mitbestellt, um fein überrascht zu werden.
Klar, dass ich das mit der Split Single von LÜGEN und ROSA BLAULICHT auch erleben darf.
Ich höre, damit ich auch garantiert überrascht werde, erst ihre Seite an.
George und Schorsch teilen mir (auch dir, sofern du sie dir mal reinziehen magst) ziemlich schnell und unmissverstädnlich mit, dass sie ziemlich pissed sind. Musikalisch eingehämmert per Drumcomputer, Orgel und sozialkritischen Texten.
Der erste Song „krank“ ist echt angepisst und schlecht gelaunt, das einzig erhellende an dem Ding ist, die kleine Orgelmelodie. Der Text besteht aus kurzen Textfetzen

BWL-Finanzberatender-Businessplaner, Körper genommen Kopf entleert, freie Entfaltung – neue Ideen unterm trendy Öko-Mantel, Nestlé hat viele Namen, …

einfach treffend!
Der zweite Song heisst „scheiße“. Diese könnte man aber auch in wohlfeilen Worten kredenzen. Mal hören:
es geht wohl ums Herumlaufen in dieser abgefuckten Welt voller bescheuerter Menschen. Zwischen den Klischeebilder von Cis-Männern und dem täglichen Weg durch die öffentlichen Verkehrsmittel endet mit dem Fazit

schon meine Mutter hat gesagt, wenn du groß bist, kannst du alles sein und ich wollt am liebsten immer Asi sein.

Auf die Ohren von Rosa Blaulicht: (umgehauen hat mich das nun nicht.)

Band kommt aus Hannover.

Volle Solidarität zu Punk too und dem Thematisieren und Aufbrechen männlich dominierter Realitäten/Bünde in der szene und überall. fight patriarchy – now and ever.

LÜGEN höre ich quasi vom ersten Release an. Eine sperrige, nicht einfach zu konsumierende Band. Lügen macht sowas wie Jensen macht, nur nicht so nett. Sängerin Sabrina hat einiges zu sagen und wenig Geschichten zu erzählen. Die Texte muss man schon mehrmals anhören, und haben nicht zwangsläufig einen Rhythmus, in den man sofort einsteigen kann.
Drei neue Songs sind auf der 7inch. Die ist ja schon ne Weile raus und ich hab sie auch schon zwei bis fünf Mal gehört. Was euch als Ausrede einfällt, weswegen ich den Review erst jetzt schreibe, dürft ihr hier eintragen __________.
Sie ist bereits 2021 erschienen, so ziemlich einem Jahr.
Sabrina textet und sing immer noch gegen den Strich, respektive Takt, und trotzdem, oder gerade deswegen, ist es nicht unharmonisch! Eher sehr außergewöhnlich.
Erinnert mich musikalisch ein wenig an Going Away Party.
„wie ich meine Jugend an die Idioten verlor“ und „Pauls Penis“ sind weiterhin sehr kritisch, haben aber, so hört es sich für mich jedenfalls an, etwas mehr Ironie.
Im ersten Song geht es darum, wie man in seiner Jugend seine Sexualität „findet“, und das Thema Sexualität zieht sich ja auch noch in „Pauls Penis“ weiter. Aus der Sicht eines Mannes wird erzählt, wie man gegen das Patriarchat sein kann und es zerstören kann. Klingt komisch…

aber mit meinem Schwanz und dir, werde ich das Patriarchat zerstören

Im letzten Stück geht es darum, dass „Pommes oke sind, Kartoffeln aber böse“ und das man das ordentlich mitsingen muss, was Lügen einige Male vorsingen, damit man sich das ordentlich einprägen kann!
Gesangliche Begleitung gibt es bei „Pauls Penis“ von Thomas von Kackschlacht. Beim „Pommessong“ gibt es Synthiesounds von Turbo, der bei Rosa Blaulicht orgelt. Da hab ich doch vorhin… ja, ich drehe die 7inch nochmal um, das steht „George und Schorsch“, nicht Turbo. Hm. interessant. Die Postille bittet um Aufklärung! Man verscht mich also hinters Blau-Licht zu führen.
Cooler Release insgesamt, eine Seite funktioniert nicht ohne die andere!
Sehr cooles, simples Cover mit den Buchstaben! Texteinleger, die 7inch in …. rosa und blau.

Gibts auf jeden Fall noch beim Grandioso Versand oder bei Conraszt Records.

Auf die Ohren von Lügen:

fanzine: Ostsaarzorn / Ostsaarzores „punk & jewishness“

Na das ist doch mal ne Idee: eine Sonderausgabe machen, nachdem es erst eine zweite Ausgabe gab.
Thema: „Punk & Jewishness“.
Mit dem Untertitel „Fachjpournal für Punk“.
Alter, haben sich da so n paar oberkluge Studententypen in die Szene verlaufen und machen jetzt auf… ach, komm, wir wollen doch hier keine alten Klischeebilder mehr bedienen! Die Tendenz geht aber ganz klar eher zum verblichenen Testcard, als zu einem A5er-Punkfanzine.
Die Szene öffnet sich gerade sehr der FLINTA-Bewegung, oder sie uns, offen zu sein für viele und Vieles ist etwas, was ich an Punk schon lange schätze. Ebenso die gnadenlose Einschätzung.
Im Vorwort heisst es „wir agierne hier in Widersprüchen, wandekn uaf schmalen Graten und müssen versuchen, uns nicht vollends im metaphorischen Dickicht zu verheddern.“
Unterstützt wurde das Redaktionskollektiv von der Rosa Luxemburg Stiftung Rheinland-Pfalz und der Inititative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der Karl-Marx-Universität in Mainz.
Ich könnte jetzt sätzeweise so weitermachen. „Das jüdische Moment im Punk“ dreht sich um die bspw. jüdischen Wurzeln des Punk in New York. Da sind ja vor allem die Ramones zu nennen, und in meiner Welt auch die Wurzeln der Beastie Boys, Treffpunkt CBGB’s. Es geht um die „Überlegungen zur Bedeutung von Punk als Widerstandspraxis für Jüdinnen:Juden in Deutschland“.
Da sind Trosun von Egotronic und Björn Peng zu nennen.
Und ehe der Review hier nun komplett ausufert, da die zusammengestellten Informationen ganz klasse „aufberietet“ sind; so sagt man doch unter studierten, nicht?
Ist noch ein Artikel, der mich sofort gereizt hat, in das auf knapp 100 Seiten starke Zine reinzulesen und mich festzufressen, nämlich „(un)einduetige Anknüpfungspunkte für Antisemitismus und Thematisierung der Shoah im Deutschpunk“.
Klar, ihr denkt jetzt, wo sind all die kleinen Beispiele aus den Artikeln, die mich neugierig machen sollen, welche Bands werden genannt, welche Songs zitiert.

holt euch das Ding selbst 😉 
Ich habs über den Ostsaarzorn Insta-Account direkt bestellt. gibt es aber auch per Emehl.
Spitzending. Freu mich auf das nächste „Heft“.

Fanzine: Break the Silence #2

Das neue Break the Silence ist schon im Februar 2022 erschienen, bei mir vor ein paar Wochen gelandet. Nicht nur, dass mir genialerweise dieser Zaunpfahl gleich ins Gesicht schlug: dem Heft ist, gottseidank, ein paar Blätter Klopapier begefügt; so ist es durchweg auch noch lesbar! Yeah.

Von vorne: ich nehme an, in Anspielung auf die „Klolektüre“ ist das Papier anbei, nicht, weil sich der Macher Ralf Als Hamsterkäufer outen möchte. Es ist Klopapier für „die extra lange Sitzung“ des Break the Silence!
Diese startet mit einem zweiseitigen Vorwort und den darauffolgenden News über mir meist unbekannte Bands. Dabei wird mir schnell der Zusammnhang zum Titel „Break the Silence“ klar, es wird hier in der Hauptsache Hardcorepunk und Crustiges besprochen. Manchmal finde ich da schon richtig gut, dass ein Fanzine völlig geräuschlos ist. Man kann in Ruhe lesen, die Musik steht nicht im Vordergrund, sondern der Inhalt. Die Geschichten.

Geschichten darf VSK (Deutschpunk) erzählen, Danger!Man (norwegischer Hardcore) und die Black-Metal-Band Lucifuge (Bremen) und Label Attack Records. Interviews wirklich alle gut lesbar, informativ und ausführlich.

Ralf erzählt uns von dem überdimensionalen Fettnapf, den er auf einer Reise gefunden hat, darüberhinaus über all die Zines, die er in der letzten Zeit verschlungen hat; auf dem Scheißhaus, versteht sich. Er verabschiedet sich von einigen Menschen, die ihm sehr ans Herz gewachsen waren, bzw. die er auch aus den Augen verloren hatte. Das gibt dem  Heft die persönlichste Note.
Den beiliegenden Tapesampler hat er all diesen Menschen gewidmet und spielt uns Musik vor, die er mit ihnen erleben durfte, als Teil einer Szene, als Tourfahrer, als Konzertbesucher, als Freund. Ein schöner Tapesampler „Somewhere over the Rainbow“ mit bspw. Exilent, Disorder, Colera, Leatherface, See you in Hell, Negazione, so much hate und und und.
Insgesamt ist Ralf wohl ohnehin eine ehrliche Haut und nimmt kein Blatt vor den Mund. Was man an seinem Outro auf der letzten Seite gut erkennen kann. Just, als das Heft fertig war, fing der russische Angriff auf die Ukraine an.

LP: oiro – coole narben

Nun ist sie also endlich da. Oiro – coole Narben. Nach Monaten und Monaten und…. das Cover ist anders das der MC ( <– hier der Review) und ziemlich cool! Tapete mit Rissen. Gekritzel und darunter das Alte Gekritzelte. Da steckt sicher einiges an Arbeit drin! Artwork von Heinz Hausmann.
Auf der Rückseite die Texte, innen drin eine Platte. Kein großer Schnickschnack, nicht mal ein DL-Code. Das ist oke. So geht’s auch! Klassisch, sozusagen.
Aber Musik ist drauf! Ja!
Es sind die selben Stücke wie auf Kassette, die hören sich genauso gut an wie auf Kassette, ja!
Goofy und sein Kumpel Micky Maus sind auf dem Label drauf.
Weiterhin coole Band, inwzischen mit coolen Narben, viele Jahre, von „4 gegen Willy“ bis heute ist es doch musikalisch ein ganz schön weiter Weg gewesen, man nennt es auch Weiterentwicklung. Ich gehe sie mit, bin gespannt auf Konzerte!
Und eine Veränderung ist ja auch eine Entwicklung.

fanzine: Underdog #68 „punk at the movies“

Nach einer ganzen Weile MUSSTE ich das Underdog einfach mal wieder lesen (und: ich sollte mal mein Abo erneuern!) und hab es bei einem Mailorder (mit)bestellt.
Für diese Ausgabe haben die Macher das Thema Punk in Spiel- und Dokumentarfilmen vorgenommen. Ich sollte mich selbst fragen, warum ich das noch nicht gemacht habe, da ich schließlich seit über 20 Jahren bei Filmdreharbeiten meinen Lohn verdiene. Ganz ehrlich: weil die meisten Filme mit und über Punks einfach scheiße sind. Die meisten Schauspieler halten das Punk-sein für einen riesen Spaß oder tragen halt doch nur Kostüme. Oder die Filmemacher*in hat einfach ein Sujet gesucht und verarbeitet sein eigentlich spießiges Leben in Form einer (vermeindlich) unangepassten Subkultur, in der sie/er sich nicht auskennt.
Wie auch immer: wie immer sehr fundiert recherchiert, wir beginnen hier mit den ersten Punkfilmen, die Ende der 70er Jahre entstanden sind und gehen bis ins Heute.
Interviews gibt es mit Wolfgang Büld, der in frühester Zeit schon einen Film gemacht hat, der „Punk in London“ heisst und 1977 dokumentarisch mit Siouxsie and the Banshees, Adverts und Generation X gefilmt wurde.

Eines mit den Reding-Zwillingen, die „Oi-Warning – Leben auf eigene Gefahr“ gemacht haben. Hier verarbeiten die beiden Brüder in großen Zügen ihre eigene Adoleszenz in teilweise harten, zwischenmenschlichen Körperlichkeiten und einem (fast) irrwitzigen Soundtrack. Der FIlm ging damals so durch die Decke, dass die beiden eine Tatort-Folge inszeniert haben!
Ein weiterer Mann kommt zu Wort: Tarek Ehlail, der „Chaostage – we are the Punks“ inszeniert hat. Er ist viele Jahre schon mit Moses vom Zap-Magazin befreundet gewesen, auch hier wurde viel der eigenen, ungestümen Jugend auf Zelluloid gebannt. Ja, diese Filme stammen von Anfang der 2000er, da wurde noch nicht alles digital gedreht und nachbearbeitet.

Nach dieser stark nach Männerschweiß riechenden Punkfilmwelt folgt dann endlich „Frauen* in Punkfilmen“ (vor und hinter der Kamera). Es geht um Filme wie „Pretty in Punk“ „Time Square“ oder auch „her Smell“. Ja, es gibt schon auch ein Interview mit einer Frau: Penelope Spheeris. Bspw. bekannt durch „The Decline of Western Civilisation I & II & III“. Dokumentarfilme, die sich die Jugend/Subkulturen der Szenen in L.A. 1979 bis 1998 vornehmen. Äußerst spannend!

Dann springen wir zurück in der Zeit und alle dreht sich um ein Format, welches es heute quasi nicht mehr gibt: Super 8.
Insgesamt eine wirklich lesenswerte Ausgabe, da man hinterher nicht nur einfach Musik konsumierten kann, sondern sich durch viele Stunde Filmmaterial wühlen. Klar, es gibt auch einige Rezensionen zu einschlägigen Filmen.

Einzig: mir fehlt ein wirklich klasse Film, den ich schon mehrfach verschlungen habe, da ich ihn als ganz großartig gefilmt und gespielt empfinde. Meine Emfpfehlung, neben all denen aus dem Heft: Hardcore Logo.

Heft gibt es auf der Hompage des Underdog